50 Jahre seit dem Putsch in Chile

“Jetzt hat die Armee nicht mehr län­ger still­ge­hal­ten. Drei Jah­re Mar­xis­mus sind ihr genug.” — Bild-Zei­tung am 12. Sep­tem­ber 1973

“Jetzt geht es wie­der auf­wärts.” — Die Welt am 29. Sep­tem­ber 1973

“Chi­le — jetzt inves­tie­ren.” — Anzei­ge in der FAZ am 29. Sep­tem­ber 1973

“Putsch in Chi­le ist für Ban­ken posi­tiv — in Süd­ame­ri­ka kann wie­der inves­tiert wer­den.” Ger­hard Liedt­ke, Dresd­ner Bank AG, am 8. Okto­ber 1973 in der neu­en West­fä­li­schen Zei­tung

Am 11. Sep­tem­ber 1973 stürz­te das chi­le­ni­sche Mili­tär unter Füh­rung von Gene­ral Pino­chet mit Unter­stüt­zung der CIA und finan­ziert durch die USA die demo­kra­tisch gewähl­te Links­re­gie­rung. Schon seit 1963 bil­de­te der CIA rechts­extre­mis­ti­sche Para­mi­li­tärs in Chi­le aus, schleus­te Söld­ner ins Land, ermor­de­te Aktivist:innen oder sabo­tier­te, die Wirt­schaft — alles mit dem Ziel eine demo­kra­tisch gewähl­te Regie­rung zu desta­bi­li­sie­ren, die ver­such­te Chi­le aus den Klau­en der inter­na­tio­na­len Ban­ken und Kon­zer­ne zu befrei­en. Schließ­lich bom­bar­dier­ten am 11. Sep­tem­ber Flug­zeu­ge den Prä­si­den­ten­pa­last. Mili­tärs mar­schier­ten durch die Stra­ßen. Der sozia­lis­ti­sche Prä­si­dent Sal­va­dor Allen­de wur­de in den Sui­zid getrie­ben. Über 13.000 Men­schen wur­den ein­ge­sperrt und gefol­tert. Tau­sen­de wur­den erschos­sen. Das Fuß­ball­sta­di­on in Sant­ia­go de Chi­le wur­de in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger umge­wan­delt, in dem Tau­sen­de Men­schen ver­schwan­den. Hier wur­de auch der Musi­ker Vic­tor Jara ein­ge­sperrt. Sei­ne Gitar­re wur­de zer­schla­gen und sei­ne Hän­de gebro­chen, als er anfing für die Gefan­ge­nen zu spie­len. Spä­ter wur­de er bru­tal zusam­men­ge­schla­gen und erschos­sen. “Soweit wir Ein­blick bekom­men haben, bemüht sich die Mili­tär­re­gie­rung in opti­ma­lem Umfang um die Gefan­ge­nen. Die Ver­haf­te­ten, die wir spra­chen, haben sich nicht beklagt. Das Leben im Sta­di­on ist bei son­ni­gem Wet­ter recht ange­nehm.”, erklär­te Bru­no Beck, dama­li­ger Gene­ral­se­kre­tär der CDU, nach einen Besuch in Chi­le. Bis 1990 regier­te Pino­chet mit eiser­ner Hand über Chi­le. Unter Lei­tung der soge­nann­ten Chi­ca­go Boys — in den USA aus­ge­bil­de­te Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler — wur­de Chi­le ein Test­bal­lon für den Neo­li­be­ra­lis­mus. Es wur­de geprüft, wie weit man gehen kann, das Lebens­ni­veau zu sen­ken, Arbeitnehmer*innenrechte ein­zu­schrän­ken und alles — sogar das Was­ser — wur­de pri­va­ti­siert. Das deut­sche Kapi­tal in stand voll und ganz hin­ter der Mili­tär­dik­ta­tur und sei­nen bru­ta­len Kon­se­quen­zen.

Der 11. Sep­tem­ber 1973 ist ein Datum, das wir nicht ver­ges­sen dür­fen. Es zeigt, wie bru­tal das Kapi­tal sei­ne Pro­fit­an­sprü­che durch­setzt — und dass demo­kra­tisch gewähl­te Regie­run­gen not­falls mili­tä­risch erle­digt wer­den, wenn die ihrem Pro­fit­stre­ben im Weg ste­hen.

Trotz des grau­sa­men Endes der Links­re­gie­rung und des revo­lu­tio­nä­ren Pro­zes­ses ist Chi­le 1970 bis 1973 voll an Erfah­run­gen und Leh­ren, die von jede*m Marxist*in auf­merk­sam stu­diert wer­den soll­ten. Der Pro­zess in Chi­le ist ein Bei­spiel dafür, wie ein moder­ner revo­lu­tio­nä­rer Pro­zess aus­se­hen kann und auf wel­che ver­schie­de­nen Wege er begin­nen kann. In die­sem Fall durch die Wahl der Uni­dad Popu­lar, ein Bünd­nis bestehend aus der Sozia­lis­ti­schen Par­tei, der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, sowie klei­ne­rer libe­ra­ler und bür­ger­li­cher Par­tei­en, die eine gemein­sa­me Regie­rung bil­de­ten und sich ein sozia­lis­ti­sches Pro­gramm auf die Fah­ne schrie­ben, aber die Illu­si­on hat­ten, dass eine Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus durch Refor­men mög­lich wäre.

Die Wahl der Uni­dad Popu­lar war ein Ergeb­nis des Elends der Mas­sen, die gegen die Armut rebel­lier­ten. Wie schlecht es den Men­schen in Chi­le ging, zeigt das 40-Punk­te-Wahl­pro­gramm der Uni­dad Popu­lar. So wird unter ande­rem ver­spro­chen, dass eine Regie­rung der Uni­dad Popu­lar jedem Kind einem hal­ben Liter Milch zur Ver­fü­gung stellt. Der Wahl­sieg der Uni­dad Popu­lar mach­te den chi­le­ni­schen Arbeiter*innen und Armen ihre Macht bewusst. Schnell gerie­ten sie selbst in Bewe­gung und kämpf­ten für die radi­ka­le Umset­zung des Wahl­pro­gramms. Das Pro­gramm ver­sprach die Erhö­hung des Lebens­stan­dards, kos­ten­lo­se Bil­dung, Inves­ti­tio­nen in Kul­tur, Ein­grif­fe in die Wirt­schaft und ein Ende der Berei­che­rung der Bon­zen, auf Kos­ten der Arbeiter*innen und aber zer­brach an sei­nen eige­nen Wider­sprü­chen. Das Pro­gramm sprach sich nur abs­trakt für den Sozia­lis­mus aus und erklär­te nicht, wie die­se Ein­grif­fe in die Wirt­schaft und ande­re Refor­men dau­er­haft prak­tisch umge­setzt wer­den soll­ten.

 Unter der Links­re­gie­rung waren 20 % der Wirt­schaft ver­staat­licht. Dazu gehör­ten auch die gro­ßen inter­na­tio­na­len Kup­fer­un­ter­neh­men, die seit jahr­zehn­ten hor­ren­de Pro­fi­te damit mach­ten, das Kup­fer aus Chi­le abzu­bau­en. Allen­de und sei­ne Regie­rung glaub­ten sie, dass sie die Wirt­schaft Stück für Stück ver­staat­li­chen könn­ten. Die Ent­eig­nun­gen lös­ten gro­ße Begeis­te­rung in den Mas­sen aus.

Die chi­le­ni­schen Arbeiter*innen und Bäuer*innen fin­gen sel­ber an Fabri­ken, Betrie­be und Län­de­rei­en zu beset­zen. In ganz Chi­le kam es zu Ansät­zen von Arbeiter*innendemokratie. 

Gleich­zei­tig ging das Kapi­tal in die Offen­si­ve. Es kam zu Sabo­ta­ge, Boy­kotts und Unter­neh­mer­streiks. Allen­de und sei­ne Berater*innen glaub­ten, dass sie in der Lage wären, den bür­ger­li­chen Staat Stück für Stück zu über­neh­men. Dabei schreck­ten sie aber vor einer direk­ten Kon­fron­ta­ti­on mit den bür­ger­li­chen Insti­tu­tio­nen zurück. Sie hoff­ten auf Refor­men und Bünd­nis­se mit dem Kapi­tal, um nicht in eine Kon­fron­ta­ti­on mit dem Impe­ria­lis­mus zu gehen. Allen­de set­ze mehr Ver­trau­en in staat­li­che Struk­tu­ren, als in die Arbeiter*innenklasse. Dabei ist der Staat immer ein Instru­ment der herr­schen­den Klas­se zur Unter­drü­ckung der Aus­ge­beu­te­ten. Rosa Luxem­burg schrieb schon in „Die sozia­lis­ti­sche Kri­se in Frank­reich“, dass es die Auf­ga­be einer sozia­lis­ti­schen Par­tei an der Macht wäre, den bür­ger­li­chen Staat zu erset­zen. Am Ende ernann­te Allen­de noch sel­ber sei­nen Mör­der Pino­chets zum Ober­be­fehls­ha­ber des Mili­tärs.

Wie so oft in der Geschich­te hat eine kon­se­quen­te revo­lu­tio­nä­re Füh­rung und eine mar­xis­ti­sche Par­tei gefehlt, die das Ruder hät­te her­um­rei­ßen kön­nen. Sie hät­te die nächs­ten Schrit­te erklärt und wäre nicht hin­ter den For­de­run­gen der Arbeiter*innenbewegung her­ge­trot­tet. Statt den bür­ger­li­chen Staat auf­recht­zu­er­hal­ten, hät­te sie die Ansät­ze der Arbeiter*innendemokratie aus­ge­baut, sich im gan­zen Land für die Bil­dung und Ver­net­zung von Arbeiter*innenräten ein­ge­setzt, die die Sachen selbst in die Hand genom­men hät­ten. Es hät­te noch mehr Beset­zun­gen und Streiks gege­ben. Sie hät­te klar erklärt, dass zur Umset­zung des Uni­dad Popu­lar Pro­gramms, die Ver­staat­li­chung aller Ban­ken und Kon­zer­ne und die Ein­füh­rung einer gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Plan­wirt­schaft sei. Grund­la­ge dafür wäre die Herr­schaft der Arbei­ter­klas­se, eine sozia­lis­ti­sche Demo­kra­tie.

Aber eine sol­che revo­lu­tio­nä­re Par­tei gab es nicht und so hoff­te die Arbeiter*innenklasse auf die Regie­rung Allen­des, der trotz sei­ner Schwä­chen auf­recht dafür kämpf­te die Men­schen Chi­les von Aus­beu­tung und Elend zu erlö­sen und glaub­te sein Weg sei der rich­ti­ge. Noch zwei Tage vor dem Putsch demons­trier­ten in Chi­les Haupt­stadt 800.000 Men­schen unter dem Slo­gan „Allen­de gib uns Waf­fen!“ Ihnen war bewusst, dass nur noch ein bewaff­ne­ter Auf­stand den revo­lu­tio­nä­ren Pro­zess ret­ten konn­te. Allen­de kam nicht zu dem Schluss.

In sei­ner letz­ten Rede, wäh­rend der Prä­si­den­ten­pa­last bom­bar­diert wur­de, erklärt Allen­de: „Ich glau­be an Chi­le und sein Schick­sal. Es wer­den ande­re Chi­le­nen kom­men. In die­sen düs­te­ren und bit­te­ren Augen­bli­cken, in denen sich der Ver­rat durch­setzt, sollt ihr wis­sen, dass sich frü­her oder spä­ter, sehr bald, erneut die gro­ßen Stra­ßen auf­tun wer­den, auf denen der wür­di­ge Mensch dem Auf­bau einer bes­se­ren Gesell­schaft ent­ge­gen­geht.“ 

Am 50. Jah­res­tag geden­ken wir all den Opfern des Put­sches, aber wir müs­sen auch aus dem Ver­such un den Feh­lern vor über 50. Jah­ren ler­nen, und eine revo­lu­tio­nä­re mar­xis­ti­sche Kraft auf­bau­en, die fähig ist Chi­le, Latein­ame­ri­ka und die Welt zum Sozia­lis­mus zu füh­ren, damit der wür­di­ge Mensch dem Auf­bau einer bes­se­ren Gesell­schaft ent­ge­gen­steht. Ven­ce­re­mos – Wir wer­den sie­gen