Polizeigewalt aufarbeiten, konsequent und unabhängig

Kom­men­tar von JfS Lip­pe

Ein 19-Jäh­ri­ger aus Her­ford wur­de, nach­dem er von einer Ver­kehrs­kon­trol­le geflo­hen und in einem Wohn­ge­biet in Bad Sal­zu­flen in einer Sack­gas­se mit meh­re­ren Ein­satz­fahr­zeu­gen fest­ge­setzt wor­den war, von der Poli­zei beschos­sen. Fünf von ins­ge­samt vier­und­drei­ßig abge­ge­be­nen Schüs­sen tra­fen ihn und haben für den 19-Jäh­ri­gen nun eine Quer­schnitts­läh­mung zur Fol­ge. Ob der Gebrauch von Schuss­waf­fen gegen einen Jugend­li­chen berech­tigt war, ist frag­lich: Laut Poli­zei sei der Jugend­li­che, nach­dem er fest­ge­setzt wor­den war, auf die Beam­tin­nen und Beam­te zuge­rast, ein Augen­zeu­ge hin­ge­gen berich­te­te, dass der Jugend­li­che lang­sam gewen­det hät­te.
Ein wei­te­res Mal steht es „Aus­sa­ge gegen Aus­sa­ge”, da die Beam­tin­nen und Beam­ten zwar soge­nann­te Body­cams mit­ge­führt, jedoch nicht ein­ge­schal­tet hat­ten.

Weder der frag­wür­di­ge Ein­satz von Gewalt, vor allem gegen­über Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, noch das Mit­füh­ren, aber nicht Ein­schal­ten von Body­cams, sind Ein­zel­fäl­le, denn erst letz­tes Jahr gab es einen Ein­satz in Dort­mund, bei dem ein akut sui­zid­ge­fähr­de­ter 16-Jäh­ri­ger von 12 anrü­cken­den Poli­zis­tin­nen und Poli­zis­ten zuerst mit Reiz­gas und Tasern über­wäl­tigt und schließ­lich erschos­sen wur­de. Der Fall erreg­te gro­ßes Auf­se­hen in den Medi­en und in unter­schied­li­chen Berei­chen der Men­schen­rechts­be­we­gung sodass gegen fünf der betei­lig­ten Beam­tin­nen und Beam­ten nun ermit­telt wird, der Pro­zess ver­läuft jedoch schlep­pend.
Auch hier hät­ten die Auf­nah­men durch Body­cams einen erheb­li­chen Bei­trag zur (juris­ti­schen) Auf­ar­bei­tung leis­ten kön­nen, wären die­se den ein­ge­schal­tet gewe­sen.

Nach dem Fall aus Dort­mund sind Beam­tin­nen und Beam­te in
NRW seit April 2023 dazu ver­pflich­tet, Body­cams mit­zu­füh­ren, iedoch bleibt es wei­ter in ihrem indi­vi­du­el­len Ermes­sen, wann sie die Body­cams ein­schal­ten.
Laut Gesetz dient das Auf­neh­men mit Body­cams dem
„Schutz von Poli­zei­voll­zugs­be­am­tin­nen und Poli­zei­voll­zugs­be­am­ten oder Drit­ten gegen eine kon­kre­te Gefahr für Leib oder Leben”, und NRW-Innen­mi­nis­ter Reul ruft die Beam­tin­nen und Beam­ten dazu auf, die Body­cams zu nut­zen, sobald sich in Ein­sät­zen bedroh­li­che Situa­tio­nen ent­wi­ckeln. Dabei geht es aber nicht dar­um, den Ver­lauf eines Poli­zei­ein­sat­zes spä­ter nach­voll­zie­hen zu kön­nen oder gar unrecht­mä­ßi­ge Gewalt­an­wen­dung, zum Bei­spiel aus ras­sis­ti­scher Moti­va­ti­on, zu doku­men­tie­ren, son­dern dar­um die Beam­tin­nen und Beam­ten zu schüt­zen. So ist es der Poli­zei mög­lich, den Ein­satz unver­hält­nis­mä­ßi­ger und men­schen­ver­ach­ten­der Metho­den zu ver­tu­schen und Body­cams nur dann ein­zu­set­zen, wenn Gewalt gegen Beam­tin­nen und Beam­te als Vor­wand für den Aus­bau der Rech­te der Poli­zei die­nen soll.

Die Ein­stel­lung von Ver­fah­ren gegen Poli­zei­be­am­tin­nen und — beam­te auf­grund man­geln­de Bewei­se, der Korps­geist inner­halb der Poli­zei, durch den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen trotz gewalt­tä­ti­gen Fehl­ver­hal­tens gedeckt wer­den, und die Uber­nah­me der Ermitt­lun­gen in sol­chen Fäl­len durch die Poli­zei aus dem Nach­bar­ort sind die Grün­de, dass von der Poli­zei aus­ge­hen­de Gewalt sel­ten bis zum Ende und schon gar nicht unab­hän­gig auf­ge­ar­bei­tet wer­den.
Der gro­ße recht­li­che Spiel­raum der Poli­zei, ver­mehr­te Per­so­nen- und Ver­kehrs­kon­trol­len in migran­tisch gepräg­ten und sozia­len benach­tei­lig­ten Stadt­vier­teln und die Zunah­me von ras­sis­tisch moti­vier­ter Poli­zei­ge­walt zei­gen, dass es es ein struk­tu­rel­les Pro­blem mit Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung in der Insti­tu­ti­on Poli­zei gibt. Wel­che Kon­se­quen­zen gilt es dar­aus zu zie­hen?

Zuneh­men­de Poli­zei­ge­walt und struk­tu­rel­ler Ras­sis­mus sind nicht nur in Deutsch­land ein Pro­blem: Erst Ende Juni wur­de in Frank­reich ein 17-Jäh­ri­ger bei einer Ver­kehrs­kon­trol­le durch die Poli­zei getö­tet, auch hier ver­mu­ten vie­le Vor­satz und ein ras­sis­ti­sches Motiv. In der Fol­ge hat es in vie­len fran­zö­si­schen Städ­ten meh­re­re Tage lang Mas­sen­pro­tes­te gege­ben, vor allem in sozi­al und infra­struk­tu­rell benach­tei­lig­ten Stadt­vier­teln. Beson­ders die Jugend­li­chen ver­lie­hen ihrer Wut über über­mä­ßi­ge Poli­zei­prä­senz und ras­sis­ti­scher Per­so­nen­kon­trol­len, aber auch über Chan­cen­un­gleich­heit und Stig­ma­ti­sie­rung Aus­druck. Durch ihren aus­dau­ern­den Pro­test konn­ten sie die Bericht­erstat­tung mit For­de­run­gen nach sozia­len Ver­bes­se­run­gen mit­prä­gen.
Jugend für Sozia­lis­mus Lip­pe soli­da­ri­siert sich mit den Pro­tes­ten in Frank­reich und nimmt sich dar­an ein Bei­spiel.

Wir for­dern:
• Unab­hän­gi­ge Unter­su­chun­gen von Poli­zei­ge­walt durch Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter aus der Bevöl­ke­rung, migran­ti­schen Ver­ei­nen und Gewerk­schaf­ten unter demo­kra­ti­scher Kon­trol­le!
• Schluss mit Racial Pro­fil­ing und über­mä­ßi­ger Repres­si­on in struk­tur­schwa­chen Stadt­tei­len durch die Poli­zei.
Statt­des­sen Inves­ti­tio­nen in Infra­struk­tur, bezahl­ba­ren Wohn­raum, Bil­dungs- und Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­te!
• Stoppt die Auf­rüs­tung der Poli­zei!
• Mehr Sen­si­bi­li­sie­rung von Poli­zis­tin­nen und Poli­zis­ten, z. B. für den Umgang mit nicht-deutsch­spra­chi­gen Per­so­nen!
• Ver­pflich­te­tes Ein­schal­ten der Body­cams, sobald Waf­fen zum Ein­satz kom­men!