Wir dokumentieren hier einen Augenzeugenbericht über einen Übergriff der Polizei auf Mitglieder und Sympathisant*innen von Jugend für Sozialismus im Rahmen der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag. Der Bericht wurde im Zuge einer gemeinsamen Auswertung der Erlebnisse geschrieben. Uns ist bewusst, dass dieser Fall sich einreiht in unzählige andere Vorfällen von Polizeigewalt an diesem Tag. Wir hoffen, mit diesem Bericht weitere Aufmerksamkeit auf das brutale Vorgehen der Polizei in Riesa zu werfen. Eine Anzeige wurde im Nachgang gegen Unbekannt gestellt, wir haben jedoch wenig Hoffnung auf eine unabhängige Aufarbeitung.
Wir waren eine Gruppe von 15 Leuten, bestehend aus Personen zwischen 16 und 27 Jahren, einschließlich vier Minderjähriger. Unser Ziel war die angemeldete Hauptkundgebung gegen den Bundesparteitag der AfD in Riesa, an welcher wir friedlich teilnehmen wollten.
Es hatte Stunden gedauert, Riesa überhaupt zu erreichen, da die Straße blockiert gewesen war und wir kilometerweit zu Fuß gehen mussten. Nun waren wir im südlichen Industriegebiet der Stadt angelangt und wollten auf schnellstem Weg zur Kundgebung. Google Maps navigierte uns über eine Autobahnbrücke. Wie wir jedoch feststellen mussten, wurde diese durch eine Sitzblockade versperrt. Die Polizei hatte bereits zwei Wasserwerfer bereitgestellt und patrouillierte um die Menschenansammlung herum. Wir näherten uns ihnen langsam, um zu sehen, ob es dort eine Möglichkeit gab durchzukommen, oder gegebenenfalls die Polizei nach einem anderen Weg zur angemeldeten Kundgebung zu fragen.
Wir hatten jedoch keine Möglichkeit dazu, da uns sofort eine Reihe aus sechs oder mehr Polizist*innen entgegenkam, alle in voller Montur und mit vorgeschobenem Visier. Obwohl wir noch ein ganzes Stück von der Sitzblockade entfernt waren, trieb uns die Polizei im Laufschritt zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren und rief dabei in aggressivem Tonfall: „Haut ab!“ Eine Person aus unserer Gruppe hat aus ehrlichem Interesse gefragt, wo wir denn lang sollten, da es keinen anderen Weg zur Kundgebung zu geben schien. Der Polizist entgegnete daraufhin konfrontativ: „Verpisst euch dahin wo ihr hergekommen seid!“
Von unserer Seite war keinerlei Provokation ausgegangen und wir sind sofort umgedreht. Jemand aus unserer Gruppe merkte an, dass man das ja auch ein wenig freundlicher sagen konnte, das war alles. Spätestens zu dem Zeitpunkt wusste die Polizei, dass wir eine friedliche und kooperative Gruppe waren, die ihr Gepäck in einem Bollerwagen transportiert hat.
Auf der Suche nach einem anderen Zugang zur Kundgebung, bogen wir linker Hand zwischen die Bäume und folgten einem Weg runter in Richtung der Autobahn. Die Polizei sah, dass wir diesen Weg einschlugen uns hat uns in keiner Weise davon abgehalten, bzw. sind sie uns sogar bis kurz vor Beginn des Weges gefolgt.
Der Weg war anfangs noch asphaltiert, verwandelte sich dann jedoch eher in eine Art Feldweg. Wir gingen weiter, bis wir den Rand der Autobahn 169 erreichten. Dieser Teil der Autobahn war wegen der Demonstration stillgelegt, es gab also keinerlei Verkehr. Um herauszufinden, ob wir so die Kundgebung erreichen konnten, überquerte einer aus unserer Gruppe die stillgelegte Fahrbahn und unterhielt sich kurz mit ein paar Leuten auf der anderen Seite. Wir warteten im Grünstreifen neben der Autobahn, nur wenige Meter vom Weg entfernt, bis er wieder da war. Von da an ging alles ganz schnell.
Denn während wir noch überlegten, auf welchem Weg wir am besten zur Kundgebung gelangen konnten, kamen plötzlich mehrere Polizei-Mannschaftswägen auf unserer Höhe der Autobahn zum Stehen. Zuerst dachten wir noch, sie würden weiterfahren, weil es keinen Grund zu geben schien, dass sie hielten. Daher waren wir total perplex als gleich drei bis vier Mannschaftswägen neben uns abbremsten und die Polizist*innen aus den Autos gesprungen sind. Es waren echt viele, wir schätzen um die 20. Sie kamen in voller Montur auf uns zugestürmt und brüllten uns unverständliches Zeug entgegen. Wir haben sofort die Hände hochgenommen, ein paar von uns gingen sogar auf die Knie. Wir haben nichts Provozierendes gesagt oder getan. Eine Gruppe bunt gekleideter junger Leute, die mit erhobenen Händen zwischen den Bäumen stand.
Doch die Polizei ging auf uns los. Schlug mit Schlagstöcken den ihnen am nächsten stehenden zu Boden und fing dann an, auf den Rest der Gruppe einzuprügeln. Dabei brüllten sie uns an, wir sollten abhauen, wir sollten wegrennen so schnell wir konnten und uns „dahin verpissen, wo ihr hergekommen seid!“
Gleichzeitig versperrten sie uns jedoch den Weg und hinderten uns am Laufen, indem sie mit den Schlagstöcken auf unsere Beine schlugen. Wir wussten nicht, was los war. Verschiedene Leute aus unserer Gruppe haben den Polizisten zugerufen, sie sollen „mal runterkommen“.
Wir hatten total Panik und haben versucht irgendwie wegzurennen, doch von weiter vorne schnitten uns nun einige von den Polizist*innen den Weg ab und kesselten uns sozusagen ein. Dabei riefen sie immer noch: „Rennt weg!“, „Verpisst euch!“ und „Schneller!“
Sie ließen es dann auch irgendwie zu, dass wir uns an ihnen vorbeidrängten, nahmen jedoch die Verfolgung auf und schlugen von hinten weiter auf uns ein. Es war wie eine Jagd.
„Ein Polizist sah mir direkt in die Augen. Sein Blick wirkte hasserfüllt und angriffslustig, voller Motivation auf uns einzuschlagen. Er hatte kurze schwarze Haare und Bart, war vielleicht dreißig Jahre alt und trug keinen Helm. Vor seinem Gesicht wedelte er mit einem Schlagstock und rannte dann auf mich zu.“
(Zitat aus persönlichem Gedächtnisprotokoll)
Eine Person aus unserer Gruppe wurde mehrmals mit voller Wucht auf den Boden geschmissen und es war sehr unübersichtlich, da wir sowohl von vorne als auch von hinten angegriffen wurden. Ein Polizist hielt mehreren von uns als Drohung Pfefferspray vors Gesicht, löste es jedoch nicht aus. Zum Einsatz kamen nur die Schlagstöcke. Scheinbar willkürlich prügelten sie damit auf uns ein, während sie uns verfolgten. Wir wissen nicht, wie viele Minuten genau sie hinter uns her waren. Wir schätzen, dass zwischen dem ersten Schlag mit dem Schlagstock bis zum Ende der Jagd circa fünf Minuten vergangen sind.
„Ich habe geweint und geschrien und hatte krasse Angst und die Situation hat sich endlos angefühlt.“
(Zitat aus persönlichem Gedächtnisprotokoll)
Hinzu kam, dass wir auf diesem Weg von der Straße aus nicht gesehen werden konnten. Es gab niemanden der uns hätte helfen können und die Polizei konnte sich einigermaßen sicher sein, dass außer uns niemand etwas von dem Angriff mitbekam. Was uns außerdem auffiel und worüber wir uns im Nachhinein sehr gewundert haben, ist, dass wir auf keiner der Polizeiuniformen eine Dienstnummer gesehen haben. Weder auf dem Rücken, noch vorne, oder an den Armen. Erst kurz vor der Straße, circa da wo der Feldweg wieder in Asphalt überging, hörten die Polizist*innen auf uns zu verfolgen.
Als wir die Straße erreichten, sahen wir, dass die Mannschaftswägen, die dort gestanden hatten, verschwunden waren. Wir sind uns daher ziemlich sicher, dass die Polizist*innen, die uns angegriffen haben, die gleichen waren wie die, welche uns vorhin von der Brücke weggetrieben hatten. Sie haben uns auch genau die gleichen Beleidigungen zugerufen.
Unsere Gruppe war zum Glück noch vollständig und wir blieben auf dem Bürgersteig stehen, um erst einmal durchzuatmen.
„Ich hatte ein oder zwei Schläge abbekommen, andere sieben oder mehr. Wir alle standen unter Schock und eine minderjährige Person weinte und bekam einen Zusammenbruch.“
(Zitat aus persönlichem Gedächtnisprotokoll)
Den ganzen restlichen Tag über hatten wir starke Angst vor weiterer willkürlicher Eskalation und Aggression von Seiten der Polizei.
Mehrere Personen aus unserer Gruppe hatten nach dem Vorfall verschiedene Verletzungen: Prellungen, Hämatome, Schwellungen an den Schlagstellen, Schürfwunden und zerrissene Kleidung. Zu den körperlichen Verletzungen kommen noch die auch einige Tage nach der Tat anhaltenden psychischen Belastungen und hochkommen von Emotionen wie Angst und mittlerweile auch Wut. Wut darüber, dass wir Polizeibeamten in voller Montur schutzlos ausgeliefert waren, welche uns grundlos angriffen. Sie wussten in dem Moment ganz genau, was sie taten, und missbrauchten ihre Machtposition mutwillig und gewaltsam. Und das gegenüber einer Gruppe Jugendlicher, die friedlich zu einer angemeldeten Kundgebung gegen rechts unterwegs war.
Eine Person aus unserer Gruppe, der das Erlebnis wie uns allen sehr nahe ging, musste im Anschluss daran mit der Schulpsychologin das Erlebte aufarbeiten.
Dieser Vorfall war, wie sich bereits noch im Laufe desselben Tages herausstelle, kein Einzelfall, sondern Teil einer systematischen Eskalations- und Aggressionsstrategie der Polizei gegenüber Demonstrierenden.